- Inhaltsübersicht
- Gicht – Krankheit der Könige?
- Harnsäure – wie entsteht sie und wie wird sie ausgeschieden oder abgebaut?
- Wodurch entsteht eine Hyperuricämie? Kann man Fleisch durch Fisch ersetzen?
- Wie macht sich eine Hyperuricämie bemerkbar?
- Wie äußert sich ein Gichtanfall?
- Wodurch wird ein Gichtanfall ausgelöst?
- Wie wird ein Gichtanfall behandelt?
- Wie kann man den Harnsäurespiegel medikamentös senken?
- Die chronische Gicht – wie kommt es dazu?
- Behandlungsziel
- Ernährung bei Gicht
- Wie sieht eine purinarme Diät aus?
Auf jeden Fall eine Krankheit mit „Tradition“: Bereits Galenus (130 - 201), der griechische Leibarzt des Philosophenkaisers Marc Aurel, kannte diese Erkrankung. Er war der Ansicht, dass ihre Entstehung darauf beruhe, dass Säuretropfen aus dem Blut in die Gelenke gelangen (lateinisch „gutta“ = Tropfen = „Gicht“?). Paracelsus (1493 – 1541) hatte als erster eine Vorstellung von den Stoffwechselkrankheiten, die er tartarische Krankheiten nannte. Zu diesen Erkrankungen zählte er die Gicht, deren Erscheinungen er (ganz richtig) auf eine lokale Ablagerung normalerweise ausgeschiedener Stoffwechselprodukte zurückführte.
Im Mittelalter sprach man vom Zipperlein. Thomas Sydenham, der „englische Hippokrates“ (1624 – 1689), verfasste eine Abhandlung über die Gicht, eine Erkrankung, an der er selbst litt. Von Wilhelm Busch stammt eine der wohl bekanntesten Beschreibungen des Zipperleins. Bevor das 20. Jahrhundert seine sozialen Veränderungen mit sich brachte, waren wohlhabende Schichten und spezielle Berufe (Metzger, Gastwirte) von der Gicht betroffen. Sicherlich hängt damit auch zusammen, dass historisch gesehen Personen von Geist und Rang häufig gichtkrank waren, wie z.B. Alexander der Große, Karl der Große oder Wallenstein. Inzwischen findet sich die Gicht in allen Berufsgruppen. Warum?
Neben einer Gichtveranlagung bestimmen auch äußere Faktoren, ob es zur Entwicklung einer Gicht-Erkrankung kommt. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Angebot an Nahrungsmitteln. In Zeiten des Wohlstands, d.h. in unserer modernen Überflussgesellschaft ist dieses Angebot vielfältig und reichhaltig wie nie zuvor. Was auf der einen Seite angenehm und begrüßenswert ist, wird auf der anderen Seite zum Problem: eine energiereiche Ernährung mit häufigen Fleischmahlzeiten (auch Fischmahlzeiten!) führt zusammen mit dem üblichen Bewegungsmangel, nicht nur zu Übergewicht, sondern lässt aus der Veranlagung zur Gicht die Erkrankung Gicht werden. Gicht ist also vor allem eine ernährungsabhängige Erkrankung, deren fast völliges Verschwinden man in Hungerszeiten und das Wiederauftreten in Zeiten des Überflusses beobachten kann.
Harnsäure entsteht im Stoffwechsel beim Abbau der Purine. Purine sind Bestandteil der Erbinformation jeder Zelle. Die im Körper anfallende Harnsäure stammt aus zwei Quellen:
- meistens aus der Nahrung, d.h. der Verdauung von Nahrungszellen
- aus dem Abbau von körpereigenen Zellen im Rahmen der natürlichen Mauserung
Unter normalen Umständen stellt sich zwischen Produktion, bzw. Aufnahme und Ausscheidung von Harnsäure ein Gleichgewicht ein. Sie wird über die Nieren mit dem Harn ausgeschieden (Abb. 1). Ein großer Bevölkerungsanteil (ca. 20 %) hat als Anomalie („Laune der Natur“) eine Stoffwechselstörung im Purinstoffwechsel und kann dadurch Harnsäure nicht so leicht ausscheiden wie andere Menschen.
Körperliche Aktivität hilft Kalorien und damit Energie zu verbrauchen. Körperlich trainierte Personen reagieren nicht wie untrainierte mit einem tagelangen Anstieg der Serumharnsäurekonzentration auf körperliche Belastungen.
Hyperuricämie bedeutet die Erhöhung des Harnsäurespiegels im Blut. Harnsäure entsteht meist als Abbauprodukt des Körpers nach Verzehr von Fleisch, insbesondere Innereien, aber auch Fisch oder Produkten daraus. Auch bestimmte Gemüsesorten (z.B. Spargel) haben einen hohen Anteil von Purinen, Häufig wird der Fehler gemacht Fleisch durch Fisch zu ersetzen. Dabei wird verkannt, dass Fisch in der Regel reines, mageres Fleisch darstellt mit sehr vielen Muskelzellen pro Volumeneinheit, d.h. mit einem hohen Anfall von Harnsäure bei der Verdauung.
Die Wertigkeit in Bezug auf das Gichtproblem ist deshalb beim Fischfleisch ähnlich wie bei Gänsefleisch oder Innereien. Für den Gichtpatienten ist es vollkommen falsch an stelle von Rind- oder Schweinefleisch lieber Fisch oder Fischprodukte zu essen. Er erreicht das genaue Gegenteil. Da wäre es noch besser, er würde fettes Schweinefleisch zu sich nehmen, weil der Fleischanteil durch den höheren Fettanteil reduziert ist (Abb. 2). Bei der Verdauung fiele weniger Harnsäure an. Allerdings ist ein hoher Fettanteil in der Nahrung auch wieder ungesund. Was also tun?
Meist gar nicht. Der erhöhte Harnsäurespiegel wird oft bei Routineblutuntersuchungen entdeckt. Ab welcher Höhe er behandelt wird, entscheidet der Arzt für jeden Patienten individuell aufgrund seiner Grund- und Begleiterkrankungen. Richtgrößen dafür sind:
- ab 6,5 mg / 100 ml bis 7,1 mg / 100 ml: nur Diät
- ab 7,1 mg / 100 ml: zusätzliche Medikamenteneinnahme
Sind die Werte ständig oder stark erhöht, kann es zum Krankheitsbild der Gicht mit stark schmerzhaften Gelenkentzündungen kommen (z.B. Gichtanfall im Grundgelenk der Großzehe).
Ein akuter Gichtanfall entsteht typischerweise nachts, allmählich oder plötzlich, mit Schwellung und Rötung des betreffenden Gelenkes und heftigen Schmerzen. Das Gelenk kann so schmerzhaft sein, das selbst das Gewicht der Bettdecke unerträglich wird. In über 50 % der Fälle findet der erste Gichtanfall am Großzehengrundgelenk statt. Am Tag kann ein Gichtanfall mit uncharakteristischen Belastungsschmerzen im betroffenen Gelenk beginnen. Das Gelenk ist meist hochrot bis bläulich, die Haut darüber gespannt und glänzend. Unbehandelt klingt ein Gichtanfall innerhalb von 1 – 2 Wochen langsam ab. Eine sachgerechte Therapie kann diesen Zeitraum meist auf wenige Tage verkürzen.
- purinreiches Essen: Fleisch, Fisch (!), Innereien, Wurst, aber auch Spargel(!)
- Alkohol im Übermaß.
- Fasten
Der akute Gichtanfall wird häufig mit einem Wirkstoff behandelt, der schon seit dem 12. vorchristlichen Jahrhundert bekannt ist, dem Colchizin. Colchizin ist in den Samen der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale) enthalten. Wir bevorzugen das moderne und besser verträgliche Indometacin. Im Bereich der Gelenkentzündung sollten kühlende Umschläge zur Anwendung kommen. Ergänzend wird eine harnsäuresenkende Langzeit-Therapie begonnen.
Das Prinzip ist einfach: Entweder wird die Produktion von Harnsäure verhindert. Oder es wird mehr Harnsäure ausgeschieden. Es gibt zwei Substanzen, die jeweils eines davon können:
Allopurinol behindert die Entstehung von Harnsäure, es ist ein so genanntes Urikostatikum. Die Entstehung von Harnsäure bleibt auf einer Vorstufe stecken. Diese Vorstufe hat den Vorteil, leichter löslich zu sein, und wird daher auch leichter ausgeschieden. Benzbromaron erhöht die Harnsäureausscheidung. Es ist ein so genanntes Urikosurikum. Diese beiden Substanzen können kombiniert werden, da sie sich in ihrer Wirkung ergänzen. Ziel der Therapie ist es, den Harnsäurespiegel zu senken und Harnsäuredepots in Geweben und Organen abzubauen. Unter konsequenter und vor allem lang andauernder Therapie bilden sich Gichtknoten in Organen, Knochen und Geweben zurück.
Im Verlauf der unbehandelten Erkrankung werden mit den Jahren die Zeiträume zwischen den Anfällen immer kürzer. Die durch die häufigen Gichtanfälle hervorgerufenen Gelenkveränderungen bilden sich nicht mehr zurück, sondern verschlimmern sich von Anfall zu Anfall. Schließlich beherrschen die chronischen Gelenkveränderungen das Bild dieser Erkrankung – Gichtanfälle spielen keine wesentliche Rolle mehr. Folgende Gewebe und Organe werden in Mitleidenschaft gezogen:
Gelenke
Harnsäurekristalle lagern sich in der Nähe der Gelenke ab und schädigen Knochen und Knorpel. Die Folge davon sind starke Abnutzungserscheinungen des betroffenen Gelenkes (Arthrosen) und als Endstadium verformte, stark bewegungseingeschränkte Gelenke. Bevorzugt befallen werden die Gelenke der Gliedmaßen etwa in folgender Reihenfolge: Großzehengrundgelenk – Sprunggelenk / Fußwurzel – Kniegelenke – Fingergelenke – Handgelenke – Gelenke der Wirbelsäule (!). Unerklärliche Schmerzen in der Wirbelsäule sind nach unserer Erfahrung sogar sehr häufig auf Gicht zurückzuführen. Daran wird aber oft nicht gedacht.
Weichteile
Auch in Weichteilen und inneren Organen lagern sich Harnsäurekristalle ab. Das Gewebe reagiert auf diese Kristalle wie auf einen Fremdkörper und kapselt sie durch einen Wall von körpereigenen Zellen ab. Es bilden sich so genannte Tophi oder Gichtknoten, meist schmerzlos und deshalb unbemerkt. Diese Gichtknoten tragen auch die volkstümliche Bezeichnung „Gichtperlen“. Sie entstehen bevorzugt an den Ohrmuscheln, aber auch an Fingern und Zehen.
Niere
Harnsäureablagerungen in der Niere wirken wie ein Stöpsel im Waschbecken. Es kommt zu einem Harnstau, der die Niere nachhaltig schädigt und das Entstehen von Infektionen begünstigt. Im Laufe der Jahre entwickelt sich eine „Gichtniere“. Oft bestehen schon Jahre oder Monate vor Beginn des Gelenkbefalls gichtbedingte Nierenveränderungen.
Gicht ist also nicht nur eine Erkrankung der Gelenke. Häufig ist sie auch noch mit anderen Stoffwechselerkrankungen vergesellschaftet, wie z.B. Fettstoffwechselstörungen oder Diabetes. Mindestens die Hälfte aller Gichtpatienten hat einen erhöhten Blutdruck. Gicht ist zudem ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung einer Arterienverkalkung, deren Folgen Durchblutungsstörungen bis hin zum Herzinfarkt oder Schlaganfall sind.
Ziel ist, die Erkrankung in ihren Auswirkungen auf Gelenke und Nieren günstig zu beeinflussen, um der Entwicklung von Schäden vorzubeugen. Durch Änderung der Lebensweise sollte Folgendes erreicht werden:
- Normalisierung des Körpergewichts
- Körperliche Aktivität
- Einschränkung des Alkoholgenusses
Grundlage einer vernünftigen Gicht-Diät ist eine purinarme Kost. Da der Puringehalt der Nahrung die Höhe des Harnsäurespiegels im Blut beeinflusst, müssen die Purine in der Nahrung reduziert werden. Ganz so streng wie in früheren Zeiten werden die Diätvorschriften aber nicht mehr gefasst. Folgende Nahrungsmittel sind ausgesprochen purinreich und deshalb zu vermeiden:
- Innereien wie Bries, Gehirn, Leber
- Herz, Zunge
- Fleischextrakt (Soßen)
- Hülsenfrüchte wie Linsen, Erbsen
- Sojabohnen und weiße Bohnen
- Spargel
Eine sinnvolle Ernährung muss immer auch auf mögliche Begleiterkrankungen wie z.B. Diabetes und Fettstoffwechselstörungen ausgerichtet sein. Dabei gelten folgende Richtlinien:
Erlaubt sind:
- Einmal täglich etwa 100 g Fleisch, Wurst oder Fisch
- Eiweiß in Form von Milch, Milchprodukten und purinarmen Pflanzenprodukten
- Ein Glas Wein oder Bier pro Tag; Tee, Kaffee und Wasser
„Verboten“ sind:
- Innereien wie Leber, Niere, Bries, Herz
- Einige Fischsorten und Krustentiere, Salzheringe
- Größere Mengen alkoholischer Getränke
- Erbsen, weiße Bohnen und Linsen
- Zurückhaltung bei Spargel
Diese Empfehlungen sind nicht immer leicht einzuhalten. Die gute Nachricht aber ist, dass man im Grunde alles essen darf, solange die Ausscheidungsfähigkeit des Körpers für Harnsäure nicht überstrapaziert wird. Es kommt daher auf das Maß, auf die richtige Dosis an.
Sehr hilfreich für Menschen mit erhöhter Harnsäure sind deshalb folgende Regeln:
- Nur einmal am Tag Fleisch oder Fisch!
- Zwei Fasttage pro Woche einhalten! Fastenspeisen: fleisch- und fischfrei
Quellen: (1) Flyer „Was Sie über Gicht wissen sollten“, ratiopharm GmbH, 89070 Ulm, www.ratiopharm.de,
(2) Eigentext